Die rückwärtige (dorsale) Faszienkette
und die gezielte Lenkung der Dehnung
Um mit Yoga gezielt an deiner Rückengesundheit zu arbeiten, ist es wichtig die rückwärtige Faszienkette zu kennen und beim Üben bewusst wahrzunehmen. Denn je nachdem wie wir Dehnübungen ansteuern, können wir unterschiedliche Bereiche mehr oder weniger dehnen. Was dabei speziell den größten Nutzen bringt, ist individuell verschieden.
Was ist die dorsale Faszie?

Beginnend an der Fußsohle über das Fersenbein zieht eine Hauptbahn des Fasziennetzes an der Körperrückseite nach oben. An der Achillessehne entlang, in die Wadenmuskulatur, wo sich im Bereich der Kniekehle der Faszienzug mit der Muskulatur der Oberschenkelrückseite verhackt. Die Kraft überträgt sich so weiter nach oben bis zu den Sitzhöckern. Über ein Band wird die Kraft auf den geraden Rückenstrecker übertragen. Die Rückenfaszie verbindet sich über den Nacken und Hinterkopf bis zu den Augenbrauen.
Dieser dorsale Faszienzug erfährt bei Vorbeugen eine Dehnung. Je nachdem wie wir die Vorbeuge ausführen, verteilt sich der Zug unterschiedlich in diesem langen Faszienverlauf.
Wie ein Gummiband
Eine gesunde und gleichmäßige Flexibilität dieses Faszienzuges bewirkt, dass wir uns schmerzfrei und geschmeidig vorbeugen können. Jedoch kann es zu Verfilzungen innerhalb dieses Faszienzuges auf seinem Weg von Kopf bis Fuß kommen:
Stellen wir den dorsalen Faszienzug wie ein langes Gummi-Band vor. Hat dieses Gummi-Band unterschiedlich dicke Bereiche, so kommt die Dehnung zuerst an der dünnsten Stelle an. Durch wiederholtes Dehnen wird diese dünnste Stelle mit der Zeit immer flexibler, während an den dickeren Stellen kaum Dehnung ankommt. Diese Dysbalance bewirkt, dass manche Bereiche, trotz Dehnübung relativ festbleiben, während andere „ausleiern“.
Typische Beschwerden von zu festen Bereichen sind häufig Schmerzen im der Lendenwirbelsäule. Umgekehrt entstehen am Übergang zwischen ausgeleierten zu den festeren Bereichen oft Entzündungen. Nicht selten kommen bei Yogapraktizierenden daher Entzündungen an den Sitzbeinhöckern vor.
Mit der richtigen Technik können wir jedoch die Dehnung gezielt in die unterschiedlichen Bereiche unserer dorsalen Faszie lenken. Damit können wir Flexibilität in den festeren Bereichen entwickeln und die „ausgeleierten“ Faszien schützen und damit gezielt Schmerzen entgegenwirken.
Übungspraxis für die rückwärtige Faszie
Folgende Übungen verdeutlichen zwei Prinzipien, wie wir eine Haltung ausführen können, um durch individuell angepasste Dehnung den Dysbalancen des Alltags entgegenzuwirken.
Vorbereitung der dorsalen Faszie
Leg dier einen Tennisball, Igelball oder speziellen Faszienball unter eine deiner Fußsohlen. Nun rolle den Ball mit leichtem Druck der Fußsohle langsam vor und zurück.

Bild 1: Selbstmassage der Fußsohle mit dem Tennisball
Bild 2: Lockere stehende Vorbeuge – anschließend
vergleiche die Flexibilität der Körperseiten!
Du wirst spüren, wie die Fußsohle nach einigem Ausrollen allmählich weicher wird. Beuge Dich dann aus dem Stand ganz entspannt nach vorne. Fühle, ob Du Dich nun auf der gesamten rechten Seite flexibler fühlst. Wiederhole alles auf der anderen Seite!
Effekt: Das Rollen des Balles unter der Fußsohle (Plantarfaszie) bringt Bewegung und damit Wärme in die Faszie der Fußsohle. Dadurch gleiten die Kollagenfasern dort bei Zug besser aneinander vorbei. Da die Plantarfaszie Teil des dorsalen Faszienzuges ist, vermindert sich der Zug auf der gesamten Seite. Diese Vorübung ist eine ideale Vorbereitung auf weitere Dehnungen.
Sitzende Vorbeuge
mit Dehnung in der Beinrückseite (Prinzip 1)
Setze Dich in den Langsitz mit gestreckten Beinen auf den Boden. Fasse nun mit einer, dann der anderen Hand von hinten unter den Sitzhöcker und ziehe diesen diagonal nach hinten raus. So erhält die Wirbelsäule ihre natürliche Biegung zurück (Bild 1).
Beuge nun Deine Knie etwas und schiebe die Fußballen nach vorne. Hebe Deinen Blick und weite bewusst den Brustkorb. Greife dann zu Deinen Füßen. Kippe das Becken immer weiter, indem Du Deine Sitzhöcker weiter nach hinten außen schiebst und Dich langsam nach vorne beugst (Bild 2).
In dieser Vorbeugenhaltung weite mit der Einatmung die Vorderseite Deines Oberkörpers und ziehe mit der Ausatmung die Rückseite aktiv nach innen (Bild 3). Du spürst nun die Dehnung sehr gezielt in den Rückseiten der Oberschenkel. Der Bereich im Rücken hingegen ist eher aktiv. Verweile in der Dehnung für etwa zehn langsame Atemzüge.
Prinzip 1: Dehnung der Beinrückseite

Sitzende Vorbeuge mit Fokus
Dehnung in der Beinrückseite
Effekt: Vor allem die Rückseiten der Oberschenkel sind bei vielen Menschen verkürzt. Die Folge ist ein konstanter Zug auf die Sitzhöcker. Damit verliert das Becken sein weiches Schwingen. In der Folge entstehen oft Beschwerden im Iliosacralgelenksbereich (ISG) – also zwischen den Beckenhälften und unterhalb der Wirbelsäule. Mit dieser Art der Dehnung sorgst Du für Weichheit in genau diesem Bereich. So kann sich das natürliche Gleichgewicht einstellen und die Beschwerden lassen nach.
Kontraindikation: diese Art der Vorbeuge solltest du nicht ausführen, wenn die Faszie in der Lendenwirbelsäule relativ zur Beinrückseiten sehr fest ist (Siehe nächste Übung).
Sitzende Vorbeuge
mit Dehnung in der Lendenfaszie (Prinzip 2)
Komme erneut in einen Langsitz. Achte darauf die Beine hier besonders bewusst gerade zu halten (Bild 1).
Lege nun eine Faust in den Unterbauch und die andere Hand an den Hinterkopf. Ziehe die Haut am Hinterkopf und den gesamten oberen Rücken mit deiner Hand in die Länge. Dein Blick geht nach unten zu den Beinen und rolle dich langsam weiter ab (Bild 2).

Prinzip 2:
Dehnung in der Lendenfaszie
Sitzende Vorbeuge mit Fokus
Atme tief in die Rückseite des Oberkörpers ein, während Du ausatmend die Vorderseite Deines Oberkörpers aktiv leerst. Allmählich kommst Du so weiter nach vorne über Deine Beine (Bild 3).
Diesmal spürst Du die Dehnung vor allem in der Lendenfaszie. Beim Atmen auch zwischen den Schulterblättern, teilweise sogar hoch über den Nacken bis zu den Augenbrauen. Verweile in der Dehnung für etwa 10 langsame Atemzüge.
Effekt: Diese Art der Vorbeuge wirkt zunächst ungewohnt. Doch bei chronischen Schmerzen, die aus verhärteten Faszien des Lendenbereichs kommen, wirkt das gezielte Dehnen in diesem Bereich schmerzregulierend. Oft stellt sich überraschend schnell eine Veränderung ein. Ebenso wirksam ist diese Form der Vorbeuge bei Entzündungen an den Sitzhöckern. Wird die gesamte dorsale Faszie weicher, so reduziert sich der Zug an den Beinrückseiten.
Kontraindikation: Diese Art der Vorbeuge sollte nicht ausführen werden, wenn die Faszie in den Beinrückseiten sehr fest sind und Schmerzen in der Lendenwirbelsäule bestehen. Insbesondere bei Bandscheibenvorfällen ist diese Übungsausführung nicht zu empfehlen (Alternative: vorherige Übung).
Stehende Vorbeuge

Prinzip 1 (Dehnung der Beinrückseite)
Probiere es als nächstes die Prinzipien in der stehenden Vorbeuge aus. Beuge Deine Knie, schiebe Deine Sitzhöcker bewusst weit auseinander und lenke den Blick Richtung Zehen. Lass dich mit langem Rücken nach unten über deine Oberschenkel sinken. Wenn Du nun mit der Einatmung Oberbauch und Brust weitest und mit der Ausatmung Flanken und Rücken nach innen ziehst, spürst Du sehr schnell die Dehnung in den Beinrückseiten (Bild).
Effekt: In der stehenden Vorbeuge kann der Übende das Becken leicht vorkippen. So zentriert sich die Dehnung in die Mitte der dorsalen Faszie, den Beinrückseiten. Diese Übungsausführung ist daher bei Verkürzungen der Beinrückseiten besonders effektiv.

Stehende Vorbeuge
Prinzip 2
(Dehnung der Lendenfaszie)
Um die Dehnung in der stehenden Vorbeuge in die Lendenfaszie zu lenken, lasse von Anfang an Deine Beine völlig gerade und rolle Dich langsam von oben nach unten ein. Wie schon in der sitzenden Vorbeuge geht dein Blick nach unten-innen. Vertiefe bei dieser Übungsausführung die Einatmung in Rücken und Flanken, während Du mit der Ausatmung Oberbauch und Brustbereich bewusst nach innen ziehst (Bild).
Effekt: Bei der stehenden Vorbeuge in eingerollter Ausführung ist die Dehnung der dorsalen Faszie viel weiter verteilt. In der Mitte bei den Sitzhöckern kommt fast nichts davon an. Durch tiefes Atmen kann der Übende den Bereich zwischen den Schulterblättern und im Nacken mobilisieren. So verschwinden Spannungen in der dorsalen Faszie.
Nach unten schauender Hund

Pinzip 1
(Dehnung der Beinrückseiten)
Beginne im Vierfußstand. Dabei sollten sich die Knie etwa unterhalb der Hüften befinden, die Hände jedoch deutlich vor den Schultern auf dem Boden. Stelle Deine Fußballen auf und wölbe Deinen Rücken in ein bewusst spürbares Hohlkreuz.
Versuche Deinen Rücken so weit wie möglich in dieser Wölbung zu behalten, während Du Dein Becken gerade nach hinten oben schiebst. Mit Blick nach vorne weite mit der Einatmung den oberen Rücken und die Flanken, mit der Ausatmung schieb die Sitzbeinhöcker nach hinten und in die Breite. Hier erreicht die Dehnung besonders die Rückseite der Oberschenkel (Bilder Zeile 1).
Effekt: Der Hund ist ein Klassiker in jeder Yogastunde. In der Ausführung auf den Fußballen und mit gebeugten Knien bleibt die Wirbelsäule weitgehend gerade. So ist der Hund auch für Menschen mit Problemen an den Bandscheiben bedenkenlos möglich. Die Dehnung findet vor allem an der Rückseite der Beine statt.

Prinzip 2
(Dehnung der Lendenfaszie)
Für das Prinzip 2 beginne wieder im Vierfußstand. Platziere die Knie unterhalb der Hüfte. Die Hände befinden sich diesmal senkrecht unterhalb der Schultern.
Strecke dann mit der Einatmung Deine Beine, schiebe zugleich die Fersen Richtung Boden und rolle den Rücken wie eine Katze, mit Blick Richtung Bauchnabel. Atme weitend in den oberen Rücken, Schulterblätter ein und ziehe mit der Ausatmung vorne Bauch und Rippenbögen nach innen. Jetzt erreicht die Dehnung besonders die Lendenfaszie (Bilder Zeile 2).
Effekt: Diese Ausführung des Hundes ermöglicht eine gleichmäßige Verteilung des Zuges über den gesamten dorsalen Faszienzug. Die Dehnung reduziert Schmerzen in der Region der Lendenwirbelsäule. Sie hilft vor allem Menschen mit chronischen Rückenschmerzen. Für die (gesunden) Bandscheiben ist der durch die Rundung der Wirbelsäule entstehende Druck eine vitalisiernede Massage. Bei bestehendem Bandscheibenvorfall und Schmerzen ist abzuraten!
Viel Freude beim Üben und Erkunden!